Flüchtlinge in Alzenau

Interviewserie „Familie will`s wissen“

Der Familientisch befragt den Vorsitzenden von DAGA e. V. (Deutsch-Ausländische Gesellschaft Alzenau) Christian Schauer und die aktiven Mitglieder Marlene Boateng und Christel Bongk, beide in der Sprachvermittlung seit Jahren erfahren.  

Der 1987 gegründete Verein organisiert Lesungen, Filmabende, politische Informationsveranstaltungen und betreut vor allem die hier lebenden Asylbewerber. Diese erhalten seit gut 30 Jahren von Mitgliedern Sprachunterricht. Auf Initiative der DAGA fand kürzlich ein „runder Tisch“ zum Thema Flüchtlinge im Alzenauer Rathaus statt, um wachsendes bürgerschaftliches Engagement und  Hilfsangebote noch besser zu koordinieren.

Aktuell sind 84 Personen aus 13 Ländern als Asylbewerber in Alzenau in der „Forelle“, im Gasthaus „Brezel“ und in einem Privathaus untergebracht. Das Angebot der Ehrenamtlichen ist eine Ergänzung zu der Betreuung durch das Landratsamt und der Caritas. Die beiden Betreiber der Gemeinschaftsunterkünfte spielen eine wichtige Rolle und setzen sich für ihre Bewohner ein. Vorteilhaft sei, dass die Flüchtlinge Kleidung preiswert im Cafè Arbeit erwerben können und auch Sachspenden wie z. B. Fahrräder erhalten. Die Asylbewerber sind darüber sehr froh und dankbar. Ganz wesentlich sind aber die persönlichen Begegnungen und Kontakte. Erst im Laufe der Zeit erfahre man von den jeweiligen Schicksalen und traumatischen Erlebnissen in der Heimat oder auf der Flucht. Wünschenswert sind weitere Ehrenamtliche, welche die Flüchtlinge bei Sportangeboten begleiten könnten und die Begegnungs-möglichkeiten verbessern.

Offene Ablehnung wie in früheren Zeiten durch die „Republikaner“ sei kein Thema mehr, im Gegenteil erfahre man seit etwa zwei Jahren verstärkt Interesse und Unterstützung durch die Alzenauer Bevölkerung. Verbesserungswürdig sei das Wohnungs- und Arbeitsangebot für anerkannte Flüchtlinge, die eine Unabhängigkeit von der staatlichen Hilfe anstreben und hier ihre neue Existenz aufbauen möchten.

Über Sachspenden an das Cafè Arbeit kann man auch die Flüchtlinge  unterstützen. Aktuell sind besonders Hallensportschuhe ab Größe 40 für Männer, aber auch Sportkleidung erwünscht. Die Vereinshomepage bietet weitere Informationen und nennt Ansprechpartner unter www.daga-alzenau.de.vu.

Das Interview im Wortlaut:

Was sollte man, kurz gesagt, über die DAGA wissen?

Die DAGA wurde 1987 nach einem größeren deutsch-ausländischen Freundschafts-fest gegründet, organisiert Lesungen, Filmabende, politische Informationsveran-   staltungen und betreut ehrenamtlich die hier lebenden Asylbewerber. Wir sind seit vielen Jahren bei der Vermittlung von Deutschkenntnissen aktiv und sind als gemeinnützig anerkannt.

Stand der DAGA

Stand der DAGA

Welche Veranstaltungen gibt es von der DAGA?

Neben Lesungen und Filmabenden beteiligen wir uns jährlich im Juli in Aschaffenburg bei dem Brüderschaftsfest. Wir laden zu unseren vier Vorstandssitzungen im Jahr ein, die immer öffentlich sind. Den „runden Tisch“ im Sitzungssaal des Rathauses zum Thema Flüchtlinge hatten wir im November 2014 angeregt und wir sind dankbar, dass die Stadt Alzenau dazu kürzlich einlud und das Interesse recht groß war.

Wo sind in Alzenau wie viele Asylbewerber aktuell untergebracht?

In der „Forelle“ aktuell 24 Personen, davon ein jüngeres Paar und männliche Einzelpersonen im Alter von 19 bis 38 Jahren. In der „Brezel“ sind es aktuell 56 Personen, vor allem Familien und in einem Wohnhaus in der Nähe des „Spitals“ sind nochmals vier Einzelpersonen, derzeit also 84 Personen in Alzenau untergebracht.

Welche Herkunftsländer haben diese?

Die Menschen kommen aus Eritrea, Somalia, Äthiopien, Senegal, Sierra Leone, Mali. Syrien, Irak, Iran, Kosovo, Tschetschenien, Pakistan und Kuba.

Wer kümmert sich um diese?

Mitarbeiter des Landratsamtes halten den regelmäßigen Kontakt in Absprache mit der Caritas und es gibt eine feste Sprechstunde vor Ort alle zwei Wochen. Mit den Verantwortlichen der „Forelle“ (Herr Gerhardt) und der „Brezel“ (Frau Werner und Sohn) haben wir das Glück, engagierte Betreiber der Unterkünfte zu haben, die auch den Kontakt zur DAGA pflegen.

Welche Aktivitäten und Angebote gibt es für Asylbewerber hier derzeit?

Wichtig ist das Erlernen der deutschen Sprache, wobei manchmal die Alphabetisierung erforderlich ist, was durch unsere ehrenamtlichen Mitglieder Marlene Boateng und Christel Bongk seit Jahren ermöglicht wird. In begründeten Einzelfällen unterstützen wir die Asylanträge mit Petitionen und begleiten im Asylverfahren. Wir ermitteln den Bedarf an Sachspenden wie z. B. Fahrräder und aktuell auch Sportkleidung und geben diese weiter.

Wer hat da den Überblick und koordiniert das?

Inzwischen hat sich ein Netzwerk etabliert, das sich arbeitsteilig engagiert. In jüngster Zeit engagieren sich weitere Bürger/innen, weshalb wir einen „runden Tisch“ angeregt haben, damit die Hilfe noch besser koordiniert werden kann. Dazu gab es beim ersten „runden Tisch“ im Rathaus am 28.1.15 erste Anzeichen und Fortschritte.

Wie ist die Rückmeldung seitens der hier lebenden Asylbewerber?

Die Leute sind sehr froh und dankbar. Gleichzeitig erhalten wir Informationen aus deren Heimat und die Beweggründe für deren Asylantrag, aber auch von Traumatisierungen zum Beispiel auf der Flucht auf dem Mittelmeer, wenn verstorbene Kinder über Bord geworfen werden mussten.

Wo sehen Sie aktuell den Bedarf weiterer Unterstützung?

Inzwischen gibt es Sportangebote und hilfreich wäre es, wenn sich weitere Begleiter dafür melden würden. Weitere aktive Personen, die nicht unbedingt bei uns Mitglied sein müssen, könnten sich für den Ausbau von Begegnungsmöglichkeiten einsetzen.

Womit sind Sie zufrieden, was läuft aus Ihrer Sicht gut?

Seit etwa zwei Jahren bekommen wir vermehrt positive Resonanz von der Alzenauer Bevölkerung und wir haben uns über das große Interesse beim ersten „runden Tisch“ gefreut. Es kommt auch vor, dass Leute vor Ort Sachspenden abgeben und hiesige  Hausärzte, wenngleich auch sehr wenige, behandeln die Leute im Krankheitsfall. Die meist jungen Leute sind freundlich und es gibt derzeit kaum zwischenmenschliche Probleme, was in Gemeinschaftsunterkünften mit vielfältigen Herkunftsländern, kulturellen und religiösen Traditionen ja nicht selbstverständlich ist. Während in früheren Jahren es vereinzelt Widerstände z. B. durch die „Republikaner“ gab, gibt es hier in Alzenau für uns keine wahrnehmbare Ablehnung ähnlich der „Pegida“.

Was ist aus Ihrer Sicht mit Priorität verbesserungswürdig?

Der Überblick, wer sich für welche Angebote derzeit einsetzt, ging in letzter Zeit etwas verloren, weshalb aufgrund des Zuwachses die Koordinierung verbessert werden sollte. Eine fachärztliche Behandlung muss nicht nur durch einen Hausarzt befürwortet, sondern auch bei dem Landratsamt beantragt werden. Die Rahmenbedingungen in unserem Gesundheitssystem sind für Asylbewerber bürokratisch. Das Wohnungsangebot nach Asylanerkennung ist sehr schwach, wenn z. B. eine junge Frau ein günstiges möbliertes Zimmer sucht, wie ganz aktuell. Auch die Arbeitsvermittlung ist bei weitem noch nicht ausreichend und die Leute suchen Beschäftigung auch auf Probe und als Praktikanten mit der Hoffnung, den Lebensunterhalt einmal selbst bestreiten zu können.

Wie kann man konkret die Arbeit der DAGA unterstützen?DAGA-Fest_k

Durch aktive Unterstützung in Absprache mit uns, wobei unser sehr günstiger Mitgliedbeitrag keine Voraussetzung dafür ist. Schön wäre es, wenn wieder ein jährliches Sommerfest in Alzenau möglich wäre, was wir von 1985 bis 2004 gefeiert haben. Federführend könnte das die DAGA nicht mehr leisten, die Initiative müsste von einem anderen Verein oder einer anderen Organisation kommen.

Gibt es Interesse an Sachspenden und wofür würden Geldspenden verwendet?

Die Asylbewerber nutzen gerne das Angebot von „Cafe Arbeit“, weshalb dort Sachspenden abgegeben werden können. Aktuell werden Hallensportschuhe für Männer ab Größe 40 und Sportkleidung gesucht für eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, da Asylbewerber zunächst ja nicht arbeiten dürfen. Geldspenden setzen wir für Referenten und die Wissensvermittlung ein.

Wie kann man sich bei der DAGA näher informieren?

Wir haben die Homepage www.daga-alzenau.de.vu, veröffentlichen regelmäßig in der Presse und haben drei umfassende Dokumentationen über unsere Arbeit herausgegeben.

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Bisher wurden interviewt: Arkadas, die Lesepaten, Krankenhausbesuchsdienste,  Schulweghelfer, eine Vertreterin von Nachbarschaftshilfeinitiativen, der Kinder- und Jugendhospizdienst der Landkreise Aschaffenburg und Miltenberg, das BRK-Seniorenwohnen in der Bachstraße, das Elfencafe im FiZ e.V. in der Max-Planck-Straße