Aktueller Stand der Flüchtlingshilfe in Alzenau

Der Familientisch griff das Thema erneut auf
Zum Abschluss der Interviewreihe „Familie will`s wissen“ befragten Stefka Huelsz-Träger und Thomas Röhrs vom Familientisch die städtische Familienbeauftragte Christine Reyer als Koordinatorin für die Flüchtlingshilfe in der Stadt Alzenau sowie Marianne L`Alinec-Rittler als ehrenamtliche Unterstützerin. Seit dem letzten Interview mit Vereinsverantwortlichen der Deutsch-Ausländischen Gesellschaft Ende Januar und zwei „runden Tischen“ nach öffentlichen Einladungen durch die Stadtverwaltung hat sich einiges bewegt, was nicht nur der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen geschuldet ist. Vielmehr hat sich das Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Akteuren positiv  entwickelt, wobei die notwendige Koordinierung durch zwei städtische Beauftragte maßgeblichen Anteil daran hat.
Aktuell sind rund 130 Personen, sowohl Familien als auch Einzelpersonen vor allem aus Syrien, Eritrea, Somalia, Afghanistan, aus dem Kosove und etlichen weiteren Ländern in den Hotels „Forelle“, und „Zur Brezel“ sowie zwei Wohneinheiten in der Hanauer Straße untergebracht. Zusätzlich sind derzeit neun unbegleitete minderjährige Jungen im Alter von 15 bis 17 Jahren in einer Wohngemeinschaft nahe der Edith-Stein-Schule untergebracht; letztere werden vom Kreisjugendamt und der Diakonie betreut, während zu den übrigen Asylbewerbern Mitarbeiter des Landratsamtes und der Caritas den behördlichen Kontakt halten.
Die vielfältigen Aktivtiäten insbesondere der Ehrenamtlichen, angefangen vom passgenauen und qualifizierten Deutschunterricht bis zu verschiedenen Freizeitangeboten fördern die Integration. Als Schwerpunkt gilt die Sprachförderung, wobei manche Erwachsene als Analphabeten eingereist sind und entsprechend beschult werden, was bei Einzelnen schwierig ist, wenn sie kein Englisch, sondern nur ihre Landessprache beherrschen.
Inzwischen haben sich eine ganze Reihe von Ansprechpartnern für einzelne Themengebiete gefunden, die sich regelmäßig mit den beiden städtischen Koordinatoren Christine Reyer und als deren Vertreter Klaus Köppel austauschen, um die weitere Optimierung zu gewährleisten. Regelmäßig informiert die Stadt im Amts- und Mitteilungsblatt „Alzenau aktuell“. Neben dem großen Einsatz nicht weniger Akteure in deren Freizeit seien die bereits eingegangenen Geldspenden sehr hilfreich, wenn z. B. Schulungsmaterial angeschafft werden muss.
Die Koordinierung der Aktivitäten sei weiter auszubauen und die Strukturen dafür sind noch deutlicher und transparenter für alle zu machen. Wünschenswert wäre es, wenn eine Fahrradwerkstatt aufgebaut werden könnte, wobei die Besitzer der Fahrräder bei Reparaturen selbst mithelfen und das erlernen sollten. Ein Fahrradtraining im Verkehrsübungsgarten war leider bisher nicht möglich, was zuletzt an der Vorgabe scheiterte, dass der Verkehrsübungsgarten nur mit Fahrradhelmen befahren werden darf. An einer Lösung dieses unbefriedigenden Zustandes wird gearbeitet, zumal immer wieder die schlechte Erkennbarkeit von Radfahrern in der Dunkelheit als ein Problem bekannt ist.
Größte Herausforderung insbesondere bei den Deutschkursen sei vor allem die notwendige Geduld und Zeit. Zur Vorbereitung der Ehrenamtlichen gibt es einen Leitfaden des Landratsamtes, das auch Schulungen anbietet, die ggfs. auch in Alzenau möglich sind. Eine besondere Herausforderung werde sein, wenn anerkannte Asylbewerber eigene möglichst preiswerte Wohnungen suchen müssen, da der Wohnungsmarkt recht angespannt sei. Asylbewerber müssten nicht mit Geld oder Sachspenden „überhäuft“ werden, da sie die Grundversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch erhalten und erlernen sollten, damit umzugehen.

Eine feste Begegnungsmöglichkeit seit September 2012 ist der „Familientreff“, ursprünglich einmal monatlich und jetzt in etwas größerem Abstand, je nach Jahreszeit bzw. unter Berücksichtigung anderer Termine. Der Letzte in diesem Jahr ist am 21.12.15 von 15 bis 17 Uhr im Maximilian-Kolbe-Haus, wo Kaffee und Tee, Plätzchen und Kuchen angeboten werden. Die Verantwortlichen laden alle zu den öffentlichen Begegnungen ein und stehen für Fragen selbstverständlich zur Verfügung. Sie bedanken sich bei allen, die bisher die Integrationsbemühungen unterstützt haben, weiterhin aktiv sind oder neu hinzukommen. Die Treffen werden auch künftig in der Presse veröffentlicht.

Die Interviewreihe wird mit diesem Interview abgeschlossen und die Drucklegung der 21 Folgen mit dem Arbeitstitel „Beispiele bürgerschaftlichen Engagements in Alzenau“ ist in Vorbereitung.

Das Interview im Wortlaut

Wie viele Flüchtlinge gibt es aktuell, wo kommen diese her und wo sind sie untergebracht?

Derzeit sind es rund 130 Personen, sowohl Familien als auch Einzelpersonen vor allem aus Syrien, Eritrea, Somalia, Afghanistan, aus dem Kosovo und etlichen weiteren Ländern. Es gibt in Alzenau aktuell folgende Unterkünfte: Die Pension „Forelle“, der Gasthof „Brezel“, zwei Wohneinheiten in der Hanauer Straße und die frühere Hausmeisterwohnung der Edith-Stein-Schule, wo derzeit neun unbegleitete minderjährige Jungen im Alter von 15 bis 17 Jahren untergebracht sind.

 

Wie werden diese behördlicherseits betreut?

Während die unbegleiteten Jugendlichen vom Kreisjugendamt und der Diakonie rund um die Uhr betreut werden müssen, halten Mitarbeiter des Landratsamtes und der Caritas den Kontakt zu den übrigen Asylbewerbern vor Ort und bieten dazu auch wöchentlich Sprechstunden im Dietrich-Bonhoeffer-Haus an. Die Kinder besuchen den Kindergarten, den städtischen Kinderhort, sowie die Grundschule. Jugendliche besuchen die Karl-Amberg-Schule und zum Teil auch die Edith-Stein-Realschule und das Gymnasium.

 

Wie ist aktuell die Situation für unbegleitete Minderjährige?

Sie leben wie gesagt in einer Wohnung als Wohngemeinschaft und werden sozialpädagogisch betreut. Erfreulich ist das wachsende Angebot an Freitzeitmöglichkeiten z. B. im Sport, wo sie zusammen mit Altersgenossen im Verein trainieren. Das Angebot soll weiter ausgebaut werden; auch den erwachsenen Flüchtlingen stehen die Stadtbibliothek, das Freibad, der Badesee. Die unbegleiteten Minderjährigen dürfen auch das Hallenbad kostenfrei nutzen.

 

Gab oder gibt es Probleme bei der Betreuung von Flüchtlingen?

Nein.

In welchen Bereichen ist ehrenamtlicher Einsatz besonders gefragt?

Da wir als Schwerpunkt das Erlernen der deutschen Sprache sehen, freuen wir uns über Ehrenamtliche, die im besten Fall auch berufliche Kompetenzen einbringen. Wir haben zum Glück etliche Akteure in diesem Bereich, die aber auch einmal im Urlaub, erkrankt oder aus sonstigen Gründen verhindert sind und deshalb eine Vertretung benötigen. Größte Herausforderung ist die Alphabetisierung von derzeit einem Dutzend Erwachsener z. B. aus Afghanistan, die zumeist auch kein Englisch, sondern nur ihre Landessprache Dari sprechen und verstehen.

Wer ist für welche Bereiche der richtige  Ansprechpartner?

Das wird regelmäßig in „Alzenau aktuell“, dem städtischen Mitteilungsblatt veröffentlicht. Die aktuelle Übersicht dazu:

Koordinierung
Christine Reyer Tel. 06023/502-126 und Klaus Koeppel Tel. 06023/502-142 – beide Stadt Alzenau

Sprache
Christel Bongk Tel. 06023/999465, Richard Künzel Tel.06023/9689245

Kleidung, Schuhe
Manuela Rosenberger Second-Handladen „Allerhand“, Wasserloser Str. 7, Tel. 06023/9575520

Kontaktaufnahme
Marianne L‘ Alinec-Rittler, Tel. 06023/943691

Unterkünfte
„Forelle“: Joachim Gerhardt, Tel. 0151/12127168, „Zur Brezel“: Marianne Werner, Tel. 06023/1350

Sportangebote
Stefka Huelsz-Träger, Tel. 06023/970324

Spieleabende
Rosemarie Redelberger (im Herbst und Winter Mo. und Mi. 19 bis 20.30 Uhr im Probenraum/Kellergeschoss Maximilian-Kolbe-Haus)

weitere Ansprechpersonen
Diakon Helmar Brückner, Tel. 06023/30078, Pfarrer Johannes Oeters, Tel. 06023/970660

Geldspenden
Christine Reyer und Klaus Köppel von der Stadt Alzenau
Spendenkonto der Stadt Alzenau: IBAN DE65 7955 0000 0240 0000 26, BIC BYLADEM1ASA Stichwort „Hilfe für Flüchtlinge“

 

Welche Voraussetzungen sollten Ehrenamtliche mitbringen?

Vor allem Geduld und Zeit, aber auch Flexibilität und Empathie, Respekt und ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein.

Wie werden diese auf ihre Aufgaben vorbereitet?

Dazu gibt es einen Leitfaden des Landratsamtes, aber auch das Angebot einer Schulung im Landratsamt, die ggf. auch in Alzenau möglich ist.

 

Was läuft aus Ihrer Sicht derzeit gut?

Wir haben einen guten Überblick und auch Einblick und kooperieren sehr gut mit den Betreibern der Unterkünfte in der „Forelle“ und der „Brezel“. Zusätzliche Unterstützung erfahren wir aktuell durch eine Studentengruppe, die sich als Pilotprojekt die Flüchtlingsbetreuung in Alzenau gewählt hat.

Der Deutschunterricht für die Asylbewerber konnte in Alzenau stetig ausgebaut und verbessert werden, nicht zuletzt durch zahlreiche Ehrenamtliche, die auf Lehrerfahrung zurückgreifen können. Der Unterricht erfolgt in der „Forelle“, in der „Brezel“, im Dietrich-Bonhoeffer-Haus, in und durch die VHS und für Kleingruppen in der Stadtbibliothek (oder im Maximilian-Kolbe-Haus). Der Unterricht wird inzwischen für vier Niveaustufen angeboten: Alphabetisierungskurs für „echte Analphabeten“ und für solche, die nicht die lateinische Schrift beherrschen, sowie für Anfänger und Fortgeschrittene der deutschen Sprache. Zusätzlich kann seit Oktober 2015 einigen Asylbewerbern ein Online-Programm für autodidaktisches Lernen (Rosetta-Stone) aufgrund einer Spende ermöglicht werden. Seit dem 2.12.15 wird ein Vorbereitungskurs (von Montag bis Freitag von 14 bis 19 Uhr) zum Integrationskurs für Syrer, Iraner, Iraker und Eriträer für Alzenau und den Kahlgrund angeboten. Erfreulicherweise schafften mehrere Asylbewerber den Sprung in die Berufsschule, die sie mit großer Begeisterung besuchen.

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Die Koordinierung der Aktivitäten ist weiter auszubauen und die Strukturen dafür sind noch deutlicher und transparenter für alle zu machen. Wünschenswert wäre es, wenn eine Fahrradwerkstatt aufgebaut werden könnte, wobei die Besitzer der Fahrräder bei Reparaturen selbst mithelfen und das erlernen sollten. Ein Fahrradtraining im Verkehrsübungsgarten war leider bisher nicht möglich, was zuletzt an der Vorgabe scheiterte, dass der Verkehrsübungsgarten nur mit Fahrradhelmen befahren werden darf. An einer Lösung dieses unbefriedigenden Zustandes arbeiten wir bereits.

 

Gibt es inzwischen ein Fahrradtraining und Aufklärung über die Regeln im Straßenverkehr sowie über die Nutzung von öffentlichen Einrichtungen und das Fahren mit dem City-Bus?

Wir hoffen, dass ein Fahrradtraining bald möglich wird. Wir verteilen Flyer über die wichtigsten Regeln in sechs Sprachen. Das Einüben des Radfahrens, das selbst Erwachsene teilweise noch lernen müssen, ist natürlich eine andere Sache. Unsere Flüchtlinge sind nicht selten zu nachlässig, was die eigene Erkennbarkeit im fließenden Verkehr betrifft. Wir haben Warnwesten ausgeteilt, die leider ungenutzt bleiben. Sie werden von uns über die Nutzungsbedingungen des ÖPNV informiert.

Wo und wann gibt es regelmäßige Begegnungsmöglichkeiten, bei denen auch Einheimische stets willkommen sind?

Feste Begegnungsmöglichkeit seit September 2012 ist der „Familientreff“, ursprünglich einmal monatlich und jetzt in etwas größerem Abstand, je nach Jahreszeit bzw. unter Berücksichtigung anderer Termine. Der letzte in diesem Jahr ist am 21.12.15 von 15 bis 17 Uhr im Maximilian-Kolbe-Haus, wo Kaffee und Tee, Plätzchen und Kuchen angeboten werden. Die Treffen werden auch künftig in der Presse veröffentlicht.

In welcher Größenordnung sind weitere Zuweisungen von Flüchtlingen zu erwarten?

Marianne L`Alinec-Rittler: Soweit ich informiert bin, gilt eine Quote von 1 % der Bevölkerung einer Gemeinde als  zumutbar. Für Alzenau mit aktuell rund 130 Personen wäre also mit einem Zuwachs von etwa 70 Menschen zu rechnen, wobei die aktuellen Unterkünfte bereits ausgelastet sind. Sehr hilfreich wäre langfristig privater Wohnraum, für anerkannte Asylbewerber. Anmerkung: für Asylbewerber selbst ist der Verwaltungsaufwand bei Einzelwohnungen zu groß.

Wo sehen Sie persönlich den Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit?

Christine Reyer: Die Koordinierung der vielfältigen Angebote wird die Hauptaufgabe bleiben, wobei sich ein regelmäßiger Austausch der verantwortlichen Ansprechpartner und der Unterkunftsbetreiber bewährt hat.

Marianne L`Alinec-Rittler: Das Organisieren von Begegnungen und das Kontakthalten mit dem Landratsamt, sowie die Beobachtung der Entwicklung vor Ort sehe ich persönlich als Hauptaufgabe, wobei ich von der Frauenunion und weiteren Personen Unterstützung erfahre.

 

Sind organisatorische Änderungen seitens der Stadt Alzenau geplant oder zu erwarten?

Christine Reyer: Nein. Herr Koeppel vom Ordnungsamt übt die Vertretungsfunktion aus.

 

Wie schätzen Sie die Einstellung der Alzenauer Bevölkerung ein?

Christine Reyer: Insgesamt sehe ich das unverändert als recht positiv.

Marianne L`Alinec-Rittler: Es gab bisher keine Auffälligkeiten oder offene Ablehnung oder massiven Widerstand aus der Bevölkerung. Einzelne kritische Hinweise und Bemerkungen nehmen wir ernst.

Haben Sie einen abschließenden Hinweis oder Appell für die Bürgerinnen und Bürger?

Christine Reyer: Eine besondere Herausforderung wird sein, wenn Flüchtlinge eigene möglichst preiswerte Wohnungen suchen müssen, da der Wohnungsmarkt recht angespannt ist.

Die wichtigste Aufgabe ist weiterhin das Erlernen der deutschen Sprache, wobei die notwendige Alphabetisierung von Erwachsenen die größte Herausforderung ist.

Marianne L`Alinec-Rittler: Flüchtlinge müssen nicht mit Geld oder Sachspenden „überhäuft“ werden, da sie die Grundversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch erhalten und erlernen sollten, damit umzugehen.

Beide: Wir legen besonderen Wert auf Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit und bitten, Flüchtlinge altersgemäß wie andere Erwachsene und nicht wie Kinder zu behandeln.

Wir laden alle zu den öffentlichen Begegnungen ein und stehen für Fragen selbstverständlich zur Verfügung. Bedanken möchten wir uns bei allen, die uns bisher unterstützt haben oder noch hinzukommen.

Das Interview führten Stefka Huelsz-Träger und Thomas Röhrs.